Widerstand
Zwölf Punkte zu einem wirksameren Widerstand von Peter Grottian (Juli 2004)

Vorüberlegungen bis hin zum zivilgesellschaftlichem Ungehorsam gegen den destruktiven Sozialabbau von Bund und Land: Die Agenda 2010 – Politik zu Fall bringen!

Unsere bisherigen Anstrengungen für Alternativen zur Agenda 2010 – Politik haben noch entscheidende Defizite:

- Die programmatischen Alternativen waren nicht überzeugend und vor allem nicht massenmobilisierungsstiftend. Es fehlen einsichtige, leicht nachvollziehbare Projekte zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zur absoluten sozialen Grundsicherung. Die Freiheit, keine Angst vor sozialer Deklassierung zu haben, müsste in einer Doppelstrategie des Grundeinkommens und gesellschaftlich finanzierter - wie selbst geschaffener Arbeitsplätze - angegangen werden.

- Die neuen Bündnis-Allianzen (Basisorientierte Gewerkschaften, Linke Ränder von SPD, PDS, neue soziale Bewegungen, Wahlalternativen etc.) sind bisher eher formale als inhaltlich-strategische Allianzen. Das Gerede von der gleichen Augenhöhe verschleiert die jeweils betriebene Eigenlogik, die bisher noch dominierend ist und nicht sehr gute Chancen hat, sich bis zum Herbst wirklich aufzulösen.

- Alle bisherigen Mobilisierungskampagnen zeichneten sich durch eine Kreuzbravheit ihrer Protestaktionen aus (Demonstrationen), die etablierte Institutionen nicht herausforderten. Der hilflose Ruf von Michael Sommer, die rot-grüne Politik solle sich gefälligst mit der Demonstration der 500.00 am 3. April 2004 auseinandersetzen, zeigt die Ohnmacht eigener Protestinstrumente und die Stärke etablierter Institutionen. Zivilgesellschaftliche Widerstände neuen Typs müssen dringend angegangen werden.

Der Herbst 2004 dürfte durch einen weiteren Legitimationsverlust der SPD und die brutale Zurichtung über Hartz IV in der sozialen Verarmungspolitik gekennzeichnet sein. Wir dürfen uns nicht in Wahlalternativen außerparlamentarische Linke, Gewerkschaften und soziale Gruppen auseinander-dividieren lassen, sondern politische Projekte und Konflikte entwerfen, die dem breiten Band unserer politischen Bündnisse nutzen. Folgender Zeit-, Arbeits- und Mobilisierungsplan erscheint plausibel:

1. Bis Anfang September: Material- und Informationsaufbereitung
- Modellrechnungen über Hartz IV und alternative Sozial- und Beschäftigungsmodelle;
- Modellrechnungen der Auswirkungen von Hartz IV auf Berlin (Senatsverwaltung, DIW, eigene Berechnungen);
- Treffen der unterschiedlichen Initiativen, Projekte etc. zur vorläufigen Diskussion der anstehenden Aktivitäten (15.08.2004 in Berlin).

2. Wissenschaftler/innen stellen am 24.09. in Berlin Alternativen zur Agenda 2010-Politik vor (Memogruppe, Hirsch/Steinert-Gruppe, Hildebrandt-Gruppe WZB, Grottian/Narr/Roth-Gruppe, Grundeinkommensgruppe Opielka/Offe/Blaschke). Ziel: Es gibt echte Alternativen.

3. Verweigerungskampagne des Hartz-IV-Fragebogens. "Aufruf zur begründeten Verweigerung" (mit Rechtsexperten Borchert, U.K. Preuß, Spindler etc.) Ende September in Berlin mit möglicherweise Menschenrechts- und Bürgerrechtsorganisationen (RAV, Humanistische Union, Humanistischer Verband, Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., GHI, Liga für Menschenrechte).

4. Dezentralisierte politische Mobilisierungsversuche von Hartz IV von Betroffenen in ausgewählten Stadtteilen (Info, Versammlungen, Mobilisierung von unten). Hier bietet sich Mitte, Kreuzberg-Friedrichshain und ein weiterer Ostbezirk an. Die Betroffenen werden von uns alle angeschrieben und ihnen Vorschläge für kleinere und größere Protest- und Widerstandsformen vorgeschlagen. Kein Mensch kann im Moment abschätzen, ob diese neue Betroffenheit Menschen anders aktiviert. Wir müssen es einfach versuchen.

5. Manifestation der Verweigerung am 02.10.2004 vor dem Tag der Deutschen Einheit "Ungehorsam gegen Hartz IV – Prominente und Bürger rufen zum zivilgesellschaftlichem Widerstand auf.
Am Gendarmenmarkt als eine Art "alternative Vereidigung" mit Hengsbach, Negt, A. Schwarzer, R. Hochhuth, D. Hensche, A. Goehler, U. Lindenberg, R. Grönemeyer, K. Wecker, Wahlalternative, Lafontaine, Bsirske. Ziel: Zivilgesellschaftlicher Ungehorsam als legitimen demokratischen Akt popularisieren und massenhafte Anstiftungen lokal-regional anstoßen. Auftritt am Festzug zur Deutschen Einheit mit allen Prominenten als 17. Bundesland "Hartz-Arbeitslosien" unter Mitführung von Schmuckstücken, Bildern und anderen "Wertgegenständen".

6. Schließung von Arbeitsämtern. Unsere Forderung nach Grundsicherung und Arbeitsplätzen zieht die Problematisierung der Arbeitsämter nach sich, die die Arbeitslosen und Arbeit Suchenden bürokratisch formieren. Wenn sie für eine sinnvolle Sozial- und Arbeitsmarktpolitik teilweise entbehrlich sind, dann ist ihre symbolische Schließung folgerichtig. Wieviel Gewalt durch diese Ämter ausgeübt wird, ist längst zum öffentlichen Konflikt zu machen.

7. Armutsproteste neuen Typs. Wer für eine bedingungslose Grundsicherung eintritt, muß die Gesellschaft mit dem Ausmaß von verdeckter, offener und erreichter Armut anders als bisher konfrontieren. Wo keine gesellschaftliche Teilhabe angeboten wird, ist Armutsprotest geboten. Lumpen-Demonstrationen anläßlich festlicher Ereignisse (Pressebälle, Staatsbesuche, G7-Gipfel), demonstrative Aufrufe und Bezahlung schwarzfahrender Erwerbsloser, Obdachloser, Sozialhilfeempfänger und andere Armen könnte zu erheblichen politischen Auseinandersetzungen führen. Bettel-Demonstrationen in den wohlhabenden Wohnvierteln sind überfällig. Armut muß ihr Gesicht den Habenden und Herrschenden zeigen.
Eine provozierende, bedrängende Bettel-Aktion im Grunewald für die Hartz-Betroffenen steht an und sollte in seinem Herausforderungscharakter unsere bisherigen Grunewald-Demonstrationen bei weitem übertreffen. Armutsbegleitungen von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens stehen an.

8.Instandbesetzungen von gesellschaftlich sinnvollen und konsensfähigen Arbeitsplätzen. Ein geschlossenes Jugendzentrum könnte wieder eröffnet und die dort geleistete Arbeit öffentlichkeitswirksam vermittelt werden. Nach 5 – 6 Tagen ist eine „fürsorgliche Belagerung“ von politisch Verantwortlichen denkbar. Damit diese Arbeit öffentlich finanziert werde. Dieser Aktion könnte ein „Spaziergang zu den Wohlhabenden“ in den besseren Stadtteilen korrespondieren, um deren Mitverantwortlichkeit zu bekunden. Sie sollten dafür gewonnen werden, die tiefen Spaltungen in den Städten zu überwinden.

9. Gewaltfreier ziviler Ungehorsam von denjenigen, die in den Institutionen nicht mehr loyal sein können oder wollen. Der außerinstitutionelle Ungehorsam und Protest wird erst seine Wirkung entfalten, wenn diesem Akte zivilen Ungehorsams von denjenigen korrespondiert, die zur Loyalität innerhalb der Institutionen verpflichtet sind. Erst wenn Jugendarbeiter, die 150 Jugendliche betreuen sollen, erst wenn Hochschullehrer, die mit 120 Studierenden Seminare gestalten sollen, erst wenn Sozialbeamte, die 180 Sozialhilfeempfänger sinnvoll betreuen sollen, sich diesen Aufgaben verweigern und die Arbeit demonstrativ niederlegen, wird sich die herrschende Politik herausgefordert sehen. Vorerst hat ein Generalstreik keine Chancen. Begründete, von Teilen der Gewerkschaften mitgetragene Arbeitsniederlegungen, könnten jedoch die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen anschieben.

10. Großdemonstration am 6.11. in Nürnberg. Alles spricht dafür, es nicht nur bei einer Demonstration zu belassen, sondern am Vorabend bis zur Demonstrationszeit eine Belagerung der Bundesagentur für Arbeit zu versuchen.

11. Bürgerstreik gegen Hartz IV am 10.12. Da ein Generalstreik noch nicht machbar erscheint, wäre ein Bürgerstreik (Arbeit, Tätigkeiten, Dienstleistungen) der für 3 Stunden das öffentliche Leben lahm legt, eine eindrucksvolle, regelverletzende und machbare Protest- und Konfliktform. Der Bürgerstreik müsste von Aktionen flankiert weren, die auf Grundbedürfnisse der Ärmsten der Armen ausgerichtet sind (Schwarz-Fahren für ein Sozialticket, Sammeln für Suppenküchen, Besetzung von öffentlichen Räumen für die Wohnungsnutzung etc.). Der Bürgerstreik könnte auch dazu dienen, Gewerkschaften und soziale Bewegungen einem Bündnistest zu unterwerfen.

12. Feierliche Festnahme von Clement durch Hartz-Betroffene als Adventsaktion – im Vorfeld der versendeten Bescheide zu Hartz IV (natürlich unter voller Wahrung der persönlichen Integrität des verdienstvollen Super-Ministers).


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