Gericht:BVerfG 1. Senat
Entscheidungsname:Erzwingungshaft
Entscheidungsdatum:19.10.1982
Aktenzeichen:1 BvL 34/80, 1 BvL 55/80
Dokumenttyp:Urteil
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Normen:§ 900 ZPO vom 27.06.1970, § 903 ZPO vom 14.12.1976, § 901 ZPO vom 27.06.1970, § 750 ZPO vom 03.12.1976, § 807 ZPO vom 27.06.1970, § 754 ZPO vom 12.09.1950, § 765a ZPO vom 20.08.1953, Art 3 Abs 1 GG, Art 1 Abs 3 GG, Art 2 Abs 2 S 2 GG
 
 
 

Leitsatz

1. Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Erzwingungshaft zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung (ZPO § 901).

 

Orientierungssatz

1. ZPO § 901 verletzt weder das Grundrecht der Freiheit der Person noch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und ist auch mit GG Art 3 Abs 1 vereinbar.

2. Bei feststehender Leistungsunfähigkeit des Schuldners ist ZPO § 901 nicht anwendbar.

 

Fundstellen

BVerfGE 61, 126-138 (Leitsatz 1 und Gründe)
ZIP 1982, 1479-1482 (Leitsatz 1 und Gründe)
DB 1983, 108-110 (Leitsatz und Gründe)
EuGRZ 1982, 552-554 (red. Leitsatz und Gründe)
Rpfleger 1983, 80-81 (red. Leitsatz und Gründe)
JuS 1983, 385-386 (red. Leitsatz und Gründe)
Information StW 1985, 91-91 (Leitsatz 1 und Gründe)
 

weitere Fundstellen

ZfSH 1983, 45-47 (Kurzwiedergabe)
MDR 1983, 188-189 (Kurzwiedergabe)
JurBüro 1983, 371-376 (Kurzwiedergabe)
NJW 1983, 559-560 (Kurzwiedergabe)
 

Verfahrensgang

vorgehend AG Wangen, 20. Juni 1980, Az: M 112/80
vorgehend AG Wangen, 13. Oktober 1980, Az: M 668/80
 

Diese Entscheidung wird zitiert

Rechtsprechung
Vergleiche Hessisches Finanzgericht 4. Senat, 8. Mai 2001, Az: 4 V 1625/01
Vergleiche FG Hamburg 2. Senat, 18. Februar 2000, Az: II 376/99
Anschluß BVerwG 1. Wehrdienstsenat, 1. Oktober 1997, Az: 1 WB 15/97
Vergleiche BFH 6. Senat, 7. April 1992, Az: VI B 68/91
Vergleiche BFH 7. Senat, 14. Juni 1988, Az: VII R 143/84
Vergleiche BFH 8. Senat, 21. Oktober 1986, Az: VIII R 1/85
Vergleiche LG Itzehoe 4. Zivilkammer, 28. September 1984, Az: 4 T 273/84
Literaturnachweise
XX, DGVZ 1986, 171-172 (Anmerkung)
Folker Bittmann, Rpfleger 1983, 261-264 (Entscheidungsbesprechung)
 

Tenor

Die Vorlagen werden verworfen.

 

Gründe

A.

1

Die zu gemeinsamer Entscheidung verbundenen Vorlagebeschlüsse werfen die Frage auf, ob es verfassungsrechtlich zu beanstanden ist, daß gegen einen Schuldner, der in dem gemäß § 900 ZPO zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung von Gerichts wegen bestimmten Termin nicht erscheint, Haftbefehl auch dann zu erlassen ist, wenn die beabsichtigte Vollstreckungsmaßnahme erkennbar aussichtslos sein wird, weil der Schuldner leistungsunfähig ist.

I.

2

Betreibt ein Gläubiger gegen einen Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung und führt die Pfändung bei diesem nicht oder nicht vollständig zur Befriedigung des Gläubigers, so ist der Schuldner auf dessen Antrag verpflichtet, ein Verzeichnis seines Vermögens vorzulegen und zu Protokoll an Eides Statt zu versichern, daß er die von ihm verlangten Angaben nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig gemacht habe (§ 807 ZPO). Die Einzelheiten des Verfahrens sind in den §§ 899 ff. ZPO geregelt. Diese sehen unter anderem vor, daß das Gericht gegen den Schuldner, der in dem zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung bestimmten Termin nicht erscheint oder die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ohne Grund verweigert, auf Antrag die Haft zur Erzwingung der Abgabe anzuordnen hat (§ 901 ZPO). Schuldner, welche die eidesstattliche Versicherung nach § 807 ZPO abgegeben haben oder gegen die nach § 901 ZPO die Haft angeordnet ist, sind in ein vom Vollstreckungsgericht zu führendes Verzeichnis aufzunehmen (§ 915 ZPO). Ein Schuldner, der die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat, ist, wenn die Abgabe im Schuldnerverzeichnis noch nicht gelöscht ist, in den ersten drei Jahren nach ihrer Abgabe zur nochmaligen Versicherung nur verpflichtet, wenn glaubhaft gemacht wird, daß er später Vermögen erworben hat oder daß ein bisher bestehendes Arbeitsverhältnis mit dem Schuldner aufgelöst ist (§ 903 ZPO). Soweit gegen die Anordnung der Haft nach Maßgabe der Generalklausel des § 765 a ZPO Vollstreckungsschutz gewährt werden kann, ist dies nur auf Antrag des Schuldners möglich (§ 765 a Abs. 1 ZPO).

II.

3

1. Verfahren 1 BvL 34/80

4

a) Der Gläubiger erwirkte gegen den Schuldner am 7. Februar 1977 beim Amtsgericht einen Vollstreckungsbefehl über eine Hauptsumme von 17,30 DM nebst 10 % Zinsen seit dem 13. April 1976, zuzüglich vorgerichtliche Mahnkosten von 15,00 DM und Kosten von 47,82 DM (insgesamt 80,12 DM ohne Zinsen). Zu diesem Zeitpunkt war der Schuldner bereits im Schuldnerverzeichnis des Amtsgerichts eingetragen. In der Folgezeit führte der Gläubiger mehrfach Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn durch, die jedoch ausnahmslos ohne Erfolg blieben und lediglich Kosten von rund 420 DM verursachten. Schon am 23. März 1977 hatte der Schuldner außerhalb der Zwangsvollstreckung die Hauptforderung von 17,30 DM bezahlt, die der Gläubiger auf seine Kosten verrechnete.

5

Am 17. Dezember 1979 ergänzte der in Anspruch Genommene gemäß § 903 ZPO seine bereits am 25. Mai 1979 vor dem Amtsgericht erneut abgegebene eidesstattliche Versicherung. Zuvor war gegen ihn Haftbefehl nach § 901 ZPO ergangen, nachdem er zu dem angesetzten Termin - wie schon mehrmals - nicht erschienen war.

6

Nach den Darlegungen des Amtsgerichts sind in der Zeit vom Februar 1977 bis zum Dezember 1979 in dieser Vollstreckungssache der Gerichtsvollzieher achtmal, der Prozeßbevollmächtigte des Gläubigers elfmal und das Vollstreckungsgericht achtmal tätig geworden, ohne daß nur ein Pfennig zugunsten des Gläubigers beigetrieben werden konnte.

7

Im Ausgangsverfahren beantragte der Gläubiger unter Beifügung der erforderlichen Vollstreckungsunterlagen mit Schreiben vom 21. Januar 1980 erneut, dem Schuldner gemäß § 903 ZPO aufzugeben, seine letzte eidesstattliche Versicherung zu ergänzen. Zur Begründung trug er vor, der Schuldner solle angeben, wo er jetzt beschäftigt sei oder in Kürze Arbeit aufnehmen werde und welche Bezüge er sonst habe, nachdem sein bisheriges Arbeitsverhältnis am 21. Dezember 1979 beendet worden sei. Zugleich stellte der Gläubiger den Antrag, im Fall des Vorliegens der Voraussetzungen des § 901 ZPO die Haft des Schuldners zur Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung anzuordnen. In dem hierfür vom Gericht festgesetzten Termin erschien der Schuldner nicht.

8

b) Mit Beschluß vom 20. Juni 1980 hat das Amtsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob der sich aus den §§ 750 Abs. 1, 754 ZPO ergebende Vollstreckungsanspruch des Gläubigers gegen den Staat auch dann mit dem Rechtsstaatsprinzip (Übermaßverbot) in Verbindung mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, wenn die beabsichtigte Vollstreckungsmaßnahme erkennbar aussichtslos sein wird, weil sie sich gegen einen leistungsunfähigen Schuldner richtet.

9

Hilfsweise bittet das Gericht um Prüfung, ob das Antragserfordernis des § 765 a ZPO mit Art. 1 Abs. 3 GG vereinbar ist, d. h. ob es die Verfassung zuläßt, daß ein in Frage kommendes Grundrecht einschließlich der Verfassungsgrundsätze nicht auch von Amts wegen über das Tatbestandsmerkmal der guten Sitten dieser Vorschrift, sondern nur dann angewendet werden darf, wenn der Schuldner einen entsprechenden Antrag stellt.

10

Zur Begründung führt das Amtsgericht im wesentlichen aus:

11

Im vorliegenden Fall sei die Haft anzuordnen, wenn die durch das geltende Zwangsvollstreckungsrecht dem Gläubiger gegebene Befugnis verfassungsgemäß sei, ad infinitum oder bis zu einer vollständigen Befriedigung vollstrecken zu können, oder wenn es dem Amtsgericht als Vollstreckungsgericht verwehrt sei, auch ohne Antrag des Schuldners die Vorschrift des § 765 a ZPO anzuwenden. Alle einfachrechtlichen Voraussetzungen zur Haftanordnung seien gegeben. Ausnahmetatbestände, wie die Vertagung des Termins gemäß § 900 Abs. 4 ZPO oder die Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 765 a ZPO kämen nicht in Betracht. Der Schuldner habe weder glaubhaft gemacht, einen Teil der Schuld begleichen zu wollen noch habe er einen Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765 a ZPO gestellt. Dem Antrag des Gläubigers fehle auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Dies könne nur dann angenommen werden, wenn der Gläubiger das gesamte Vermögen seines Schuldners kenne. Zwar wisse er hier aus den früheren eidesstattlichen Versicherungen und den Pfandabstandsprotokollen, daß bei seinem Schuldner keine beweglichen und unbeweglichen Sachen zu pfänden seien, doch kenne er nicht dessen wesentliches Vermögen, nämlich ob und woher dieser Arbeitseinkommen beziehe.

12

Die Haft sei aber - trotz Vorliegens sämtlicher zivilprozessualer Voraussetzungen - dann nicht anzuordnen, wenn der Vollstreckungsanspruch des Gläubigers gegen Bestimmungen des Grundgesetzes verstoße. Die Befugnis eines Gläubigers, Vollstreckungshandlungen durch staatliche Organe stets und ohne Ausnahme bis zur vollständigen Befriedigung vornehmen zu lassen, sei - entgegen allgemeiner Meinung - zumindest dann verfassungswidrig, wenn die Aussichtslosigkeit der Befriedigung eines Gläubigers durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen evident sei oder evident geworden sei, weil ein Schuldner leistungsunfähig sei. Dies ergebe sich aus dem im Rechtsstaatsprinzip enthaltenen Übermaßverbot und aus dem Umstand, daß § 750 Abs. 1 ZPO keine Sonderregelung für den leistungsunfähigen Schuldner treffe und damit nicht differenziere, wo durch Art. 3 Abs. 1 GG eine Differenzierung verfassungsrechtlich geboten sei.

13

Eine solche Teilverfassungswidrigkeit müsse hier angenommen werden. Schon im Zeitpunkt der Titelerwirkung sei der Schuldner im Schuldnerverzeichnis eingetragen gewesen. Damit sei offenbar geworden, daß er bereits zu diesem Zeitpunkt keine pfändbare Habe und auch kein sonstiges Vermögen mehr gehabt habe. Eine Lohnpfändung sei ebenfalls nicht erfolgversprechend, wie sich dies spätestens nach den bisherigen vier ergebnislosen Versuchen erwiesen habe. Auf Grund dieser Vollstreckungsmaßnahmen bestünden ferner keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß sich in absehbarer Zeit an der Aussichtslosigkeit weiterer Lohnpfändungsversuche etwas ändern werde, auch dann, wenn nach Verhaftung des Schuldners und der von ihm abgegebenen eidesstattlichen Versicherung dessen derzeitiges Arbeitsverhältnis offengelegt werde. Sei aber die endgültige Vollstreckungsmaßnahme aussichtslos, so müßten auch die vorbereitenden Akte der Haftandrohung und der Verhaftung unterbleiben.

14

Allerdings dürfe die Haft auch dann nicht angeordnet werden, wenn es verfassungswidrig sei, § 765 a ZPO nur auf Antrag des Schuldners anzuwenden. Im Rahmen der als zulässig zu erachtenden "hilfsweisen" Vorlage müsse deshalb die Frage der Verfassungswidrigkeit des Antragserfordernisses des § 765 a ZPO aufgeworfen werden. Selbst wenn man davon ausgehe, daß die Grundrechte nicht direkt in das Zwangsvollstreckungsrecht einwirkten, sondern nur über die Generalklausel der guten Sitten in § 765 a ZPO, könnten die Grundrechte und Verfassungsprinzipien nicht zur Geltung gelangen, wenn der Schuldner es unterlasse, einen Antrag auf Vollstreckungsschutz nach § 765 a ZPO zu stellen. Dies sei aber mit Art. 1 Abs. 3 GG nicht vereinbar. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 765 a ZPO sei nicht möglich. Sofern die Vorschrift im vorliegenden Fall auch ohne Antrag angewendet werden könnte, müsse die Vollstreckung gegen den Schuldner unterbleiben, da diese auch unter Berücksichtigung der Belange des Gläubigers nicht mit den guten Sitten vereinbar sei.

15

2. Verfahren 1 BvL 55/80

16

a) Die Gläubigerin erwirkte am 15. Februar 1978 gegen die Schuldnerin einen Vollstreckungsbefehl über eine Hauptsumme von 4 899,45 DM nebst Zinsen und Kosten. Bereits am 15. September 1977 war die Schuldnerin in das Schuldnerverzeichnis des Amtsgerichts eingetragen worden. In der Folgezeit führte die Gläubigerin gegen sie mehrfach Vollstreckungsmaßnahmen der verschiedensten Art durch, die jedoch alle erfolglos blieben und lediglich Kosten von rund 1 850 DM verursachten. Die Schuldnerin ergänzte dabei mehrfach ihre schon im September 1977 abgegebene eidesstattliche Versicherung gemäß § 903 ZPO, nachdem gegen sie jeweils Haftbefehle nach § 901 ZPO ergangen waren.

17

Nach den Ausführungen im Vorlagebeschluß sind in der Zeit vom Februar 1978 bis zum April 1980 in dieser Angelegenheit der Gerichtsvollzieher zwölfmal, der Prozeßbevollmächtigte der Gläubigerin vierzehnmal und das Vollstreckungsgericht elfmal tätig geworden, ohne daß nur ein Pfennig beigetrieben werden konnte.

18

Im Ausgangsverfahren beantragte die Gläubigerin unter Beifügung der Vollstreckungsunterlagen mit Schriftsatz vom 29. April 1980 erneut, der Schuldnerin gemäß § 903 ZPO aufzugeben, ihre letzte eidesstattliche Versicherung zu ergänzen. Zur Begründung trug sie vor, die Schuldnerin solle angeben, wo sie jetzt beschäftigt sei oder wo sie in Kürze Arbeit aufnehmen werde und welche Bezüge sie erhalte, nachdem ihr bisheriges Arbeitsverhältnis zum 1. April 1980 beendet worden sei. Zugleich stellte die Gläubigerin den Antrag, im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen des § 901 ZPO die Haft zur Erzwingung der Abgabe der erneuten Ergänzung der eidesstattlichen Versicherung anzuordnen. In dem hierfür vom Gericht festgesetzten Termin erschien die Schuldnerin nicht.

19

b) Mit Beschluß vom 13. Oktober 1980 hat das Amtsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG das Verfahren ausgesetzt und auch hier dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob der sich aus den §§ 750 Abs. 1, 754 ZPO ergebende Vollstreckungsanspruch des Gläubigers gegen den Staat auch dann mit dem Rechtsstaatsprinzip (Übermaßverbot) in Verbindung mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, wenn die beabsichtigte Vollstreckungsmaßnahme aussichtslos sein wird, weil sie sich gegen einen leistungsunfähigen Schuldner richtet.

20

Zur Begründung hat sich das Amtsgericht im wesentlichen auf seine Ausführungen im Verfahren 1 BvL 34/80 bezogen und erneut die Auffassung vertreten, die zur Prüfung gestellten Vorschriften seien insoweit verfassungswidrig, als eine Sonderregelung für den leistungsunfähigen Schuldner fehle; daraus folge, daß der Gläubigerin hier kein Vollstreckungsanspruch mehr zustehe und demgemäß ihrem Antrag auf Haftanordnung nicht stattgegeben werden könne.

B.

21

Das Amtsgericht hat die in Art. 100 Abs. 1 GG als Voraussetzung der Zulässigkeit normierte entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage nicht zweifelsfrei dargelegt. Es führt einerseits aus, die Gläubiger wüßten nicht, ob und woher die Schuldner Einkommen bezögen. Auf der anderen Seite schließt es aus den zahlreichen vergeblichen Vollstreckungsversuchen der zurückliegenden Zeit, die Schuldner seien evident leistungsunfähig; dies ist die Grundlage seiner Rechtsausführungen. Die Vorlagebeschlüsse lassen mithin nicht in voller Klarheit erkennen, ob die Schuldner wirklich leistungsunfähig sind oder ob nicht noch Möglichkeiten einer Befriedigung der Gläubiger bestehen können. Da im ersten Fall für die Entscheidung über die Anträge der Gläubiger das Rechtsschutzbedürfnis fehlen würde, wären die Anträge schon aus diesem Grunde zurückzuweisen, so daß es auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der zur Prüfung gestellten Regelung nicht ankäme. Ob die Vorlagen insoweit zulässig sind, kann indessen im Verfahren nach § 24 BVerfGG ebenso dahingestellt bleiben wie die Frage der Zulässigkeit der "Hilfsvorlage" (1 BvL 34/80). Denn die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts ist jedenfalls nicht begründet.

I.

22

1. a) Das Amtsgericht stellt in beiden Vorlagebeschlüssen den sich aus §§ 750 Abs. 1, 754 ZPO ergebenden Vollstreckungsanspruch des Gläubigers zur Prüfung, wenn die beabsichtigte Vollstreckungsmaßnahme erkennbar aussichtslos sein wird, weil sie sich gegen einen leistungsunfähigen Schuldner richtet. Zu einer derart weiten Fragestellung geben die Ausgangsverfahren keinen Anlaß. Für deren Entscheidung kann es lediglich darauf ankommen, ob § 901 ZPO unter den dargelegten Umständen in seiner ersten Alternative mit dem Grundgesetz vereinbar ist, auch wenn die Voraussetzungen einer Haftanordnung erst aus dem Zusammenhang weiterer Vorschriften der Zivilprozeßordnung zu entnehmen sind. Aus der ausführlichen Begründung der Vorlagen ergibt sich auch, daß es dem Amtsgericht nur um diesen Punkt geht. Die Vorlagefragen sind infolgedessen dahin einzuschränken, daß zu prüfen ist, ob § 901 ZPO, soweit er die Anordnung der Haft zur Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vorschreibt, wenn der Schuldner in dem zur Abgabe bestimmten Termin nicht erscheint, mit dem Rechtsstaatsprinzip (Übermaßverbot) in Verbindung mit dem Gleichheitssatz vereinbar ist, wenn die beabsichtigte Vollstreckungsmaßnahme erkennbar aussichtslos sein wird, weil sie sich gegen einen leistungsunfähigen Schuldner richtet.

23

b) Prüfungsmaßstab ist in erster Linie die grundrechtliche Gewährleistung der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG). Zwar darf in dieses Recht auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden (Art. 2 Abs. 2 Satz 3, vgl. ferner Art. 104 Abs. 1 und 2 GG). Doch muß ein solcher Eingriff dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen, der sich bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst ergibt und dem als Element des Rechtsstaatsprinzips Verfassungsrang zukommt (vgl. BVerfGE 19, 342 (347 ff.); 29, 312 (316)). Der Eingriff muß geeignet und erforderlich sein, seinen Zweck zu erreichen; er darf den Betroffenen nicht übermäßig belasten, muß diesem also zumutbar sein (BVerfGE 48, 396 (402)). Daneben kommt als Prüfungsmaßstab der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) in Betracht.

24

2. Sowohl unter der Voraussetzung der evidenten Leistungsunfähigkeit des Schuldners als auch unter derjenigen der Ungewißheit über dessen Vermögenssituation ist § 901 ZPO in seiner ersten Alternative mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG vereinbar.

25

a) Steht zur Überzeugung des Gerichts fest, daß der Schuldner leistungsunfähig ist, dann kann sich aus dessen eidesstattlicher Versicherung nichts anderes ergeben. Die Erzwingung einer solchen Versicherung durch Anordnung der Haft wäre daher zweckuntauglich; ihr fehlte es bereits an der Eignung, Aufschluß über Vermögensgegenstände des Schuldners zu verschaffen, in die vollstreckt werden könnte. An diesem Ergebnis kann auch die Erwägung nichts ändern, daß das Erzwingungsverfahren noch nicht unmittelbar der Befriedigung des Gläubigers diene, daß es vielmehr darauf abziele, ihm Kenntnis über das Vermögen seines Schuldners zu verschaffen, wodurch ihm, soweit pfändbare Vermögensgegenstände vorhanden seien, der Zugriff auf diese ermöglicht werde (vgl. Morgenstern, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Erzwingungshaft zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, NJW 1979, S. 2280 m. w. N.). Denn eben jene Kenntnis könnte den Gläubiger bei bereits feststehender Leistungsunfähigkeit seinem Ziel nicht näherbringen.

26

Daraus läßt sich indessen nicht der Schluß ziehen, § 901 ZPO sei verfassungswidrig, weil er die Anordnung der Haft auf Antrag des Gläubigers zwingend vorschreibe und insoweit das Gericht verpflichte, gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in seinem Element der Geeignetheit des Mittels zu verstoßen. Der Gesetzgeber brauchte für diese Fälle keine Regelung zu treffen. Denn an der Anwendung eines ungeeigneten Mittels kann für den Gläubiger kein Rechtsschutzinteresse bestehen. Das allgemeine Prinzip, daß jede an einen Antrag gebundene gerichtliche Entscheidung ein Rechtsschutzbedürfnis voraussetze, wohnt aber auch § 901 ZPO inne. Dies muß um so mehr gelten, als die Anordnung der Haft zu einem Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit führen würde, das einen hohen Rang unter den Grundrechten einnimmt (BVerfGE 35, 185 (190)) und demgemäß besondere verfassungsrechtliche Anforderungen an die Zulässigkeit eines Eingriffs stellt. § 901 ZPO ist infolgedessen bei feststehender Leistungsunfähigkeit des Schuldners nicht anwendbar und kann insoweit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG nicht verletzen.

27

b) Soweit der Gläubiger im ungewissen über die Einkünfte des Schuldners ist, welche dieser im Zeitpunkt des Antrags auf Anordnung der Haft bezieht (und das Gericht dieser Auffassung folgt), kann kein Zweifel an der Eignung der Anordnung der Haft bestehen, den Schuldner zur Offenlegung seiner Vermögensverhältnisse zu veranlassen und dem Gläubiger Kenntnis über diese zu verschaffen. Die Anordnung entspricht auch dem Grundsatz der Erforderlichkeit. Ein milderes Mittel, das den Erfolg sicherstellen könnte, ist nicht erkennbar. Zudem kann der Schuldner die Freiheitsentziehung durch Abgabe der eidesstattlichen Versicherung jederzeit abwenden (§ 902 ZPO). Die Anordnung der Haft erscheint schließlich im engeren Sinne verhältnismäßig, weil die Schwere des Eingriffs und das Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe in angemessenem Verhältnis zueinander stehen (vgl. Morgenstern, a.a.O.): Für den Schuldner ist zwar die Sanktion der Haft als solche einschneidend, wenn auch gemildert durch die Möglichkeit jederzeitiger Abwendung. Aber das Gesetz knüpft diese Sanktion an die Nichtbefolgung von Verpflichtungen, die sich ohne Schwierigkeiten erfüllen lassen. Der Schuldner muß lediglich seine Vermögensverhältnisse offenlegen und auf diese Weise den Gläubiger des zu vollstreckenden Anspruchs über etwaige Zugriffsmöglichkeiten informieren. Hat er tatsächlich keinen pfändbaren Vermögensgegenstand, so erleidet er keinen Nachteil. Ist er aber zahlungsfähig und wollte er nur sein Vermögen verheimlichen, so verdient er keinen Schutz.

28

Demgegenüber besteht ein öffentliches Interesse daran, dem Vollstreckungsgläubiger, dem der Staat als Inhaber des Zwangsmonopols die Selbsthilfe verbietet, die Verwirklichung seines Anspruchs und als Voraussetzung dafür die mit der Offenlegung bezweckte Feststellung der pfändbaren Vermögensgegenstände zu ermöglichen. Dieses Interesse dient der Wahrung des Rechtsfriedens und der Rechtsordnung, welche ihrerseits Grundbestandteil der rechtsstaatlichen Ordnung ist. Bei dieser Rechts- und Sachlage ist die Grenze der Zumutbarkeit eindeutig gewahrt. Die zur Prüfung stehende Regelung des § 901 ZPO verletzt nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und demgemäß auch nicht das Grundrecht der Freiheit der Person.

29

3. Ebenso ist diese Regelung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Die Vorlagebeschlüsse erblicken eine Verletzung des Gleichheitssatzes darin, daß das geltende Zwangsvollstreckungsrecht keine Sonderregelungen über den leistungsunfähigen Schuldner treffe und daher nicht differenziere, wo verfassungsrechtlich eine Differenzierung geboten sei. Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung kommt es nur auf die Frage an, ob § 901 ZPO insoweit gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Das ist nicht der Fall: Schon die Voraussetzung, daß die Vorschrift die Gleichbehandlung ungleich gelagerter Fälle gebiete, trifft nach den vorstehenden Darlegungen nicht zu. Auf weiteres kommt es daher nicht mehr an.

II.

30

Auch die im Rahmen der "Hilfsvorlage" dargelegte Auffassung des Amtsgerichts, das Antragserfordernis in § 765 a Abs. 1 ZPO sei mit dem Grundgesetz unvereinbar, ist unbegründet.

31

1. Entgegen der Ansicht des vorlegenden Gerichts kommt Art. 1 Abs. 3 GG als Prüfungsmaßstab nicht in Betracht. Nach dieser Bestimmung sind Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung an die "nachfolgenden Grundrechte" gebunden. Die Vorschrift enthält selbst keinen Verfassungssatz, an dessen Inhalt eine Bindung bestehen könnte; sie spricht sich ausschließlich über das "Ob" der Bindung aus und kann deshalb auch keinen selbständigen Prüfungsmaßstab enthalten. Einen solchen können die nachfolgenden Grundrechte, aber auch das in Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht bilden - daß Art. 1 Abs. 1 GG kein "nachfolgendes" Grundrecht ist, schließt eine Bindung der staatlichen Gewalten an dieses oberste Konstitutionsprinzip des Grundgesetzes nicht aus.

32

Der Schutzbereich eines der in Art. 2 ff. GG gewährleisteten Grundrechte wird durch das in § 765 a Abs. 1 ZPO normierte Antragserfordernis offensichtlich nicht berührt. Allenfalls ließe sich an Art. 1 Abs. 1 GG denken.

33

2. Von einem Verstoß gegen dieses Grundrecht kann jedoch keine Rede sein. Wenn § 765 a Abs. 1 ZPO dem Schuldner die Entscheidung anheimgibt, ob er von der Schutzvorschrift Gebrauch machen will, so verletzt das nicht seine Menschenwürde. Es ist ihm durchaus zuzumuten, einen Antrag zu stellen; sieht er davon ab, so nimmt er das damit verbundene Risiko bewußt in Kauf. Es ließe sich sogar sagen, daß das Antragserfordernis der Menschenwürde eher entspreche als ein von Amts wegen zu gewährender Schutz, weil insoweit gerade die Selbstverantwortlichkeit des Schuldners respektiert und vermieden wird, ihn mehr als notwendig zum Objekt werden zu lassen (vgl. BVerfGE 27, 1 (6)), auch wenn ein von Amts wegen gewährter Vollstreckungsschutz sich zu seinen Gunsten auswirken würde. Unbeschadet der einfachrechtlichen Hinweis- und Aufklärungspflicht des Gerichts kann die staatliche Schutzpflicht des Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG, jedenfalls in Fällen dieser Art, nicht so weit reichen, daß sie gegen den Willen des Schuldners wahrgenommen werden müßte. Indem § 765 a Abs. 1 ZPO den Schutz des Schuldners von einem Antrag abhängig macht, trägt er dem Gedanken Rechnung, daß (auch) der Betroffene die Möglichkeit haben soll, auf das Vollstreckungsverfahren einzuwirken (vgl. BVerfGE 9, 89 (95)). Das ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.


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